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Sommerzeit ist Festspielzeit
Daher ist die Umstellung auf die Sommerzeit genau der richtige Zeitpunkt, um einen vorausschauenden Blick auf den Sommer 2011 und damit auf die 6. St.Galler Festspiele zu werfen, die vom 24. Juni bis 8. Juli den Klosterbezirk zur imposanten Spielstätte machen. Das besondere Umfeld ist dem jungen Festival, das jährlich fast 13.000 Besucher in die Gallusstadt lockt, gleichermassen Verpflichtung und Anregung. Im Mittelpunkt steht jedes Jahr eine Opernrarität, die auf den sakralen Ort Bezug nimmt; gespielt wird auf dem Klosterhof vor der beeindruckenden Kulisse der St.Galler Kathedrale.
Das Konzertprogramm greift thematische Aspekte der Opernproduktion auf und lässt sie in einem umfassenden künstlerischen Kontext lebendig werden. Zum Geheimtipp der Festspiele entwickelte sich der Tanz, der mit und in der Kathedrale einen spannungsvollen Rahmen findet.
Oper auf dem Klosterhof
I Lombardi alla prima crociata von Giuseppe Verdi
Der 1. Kreuzzug ist der thematische Hintergrund für eine imposante Choroper aus der Feder von Giuseppe Verdi. I Lombardi alla prima crociata erzählt die Geschichte von zwei verfeindeten Brüdern, die sich am Ende versöhnen, von einer aussergewöhnlichen Liebe, die unglücklich endet, von Rache und Vergebung. Die Schauplätze reichen von Mailand über Antiocha bis an das Heilige Grab. Giuseppe Verdi, der Meister der italienischen Oper, schrieb I Lombardi unmittelbar nach seinem grossen Erfolg von Nabucco. Beide Opern enthalten ebenso beeindruckende lyrische wie martialische Chorszenen, die einen eindrucksvollen Kontrast zu den spannungsreichen Einzelschicksalen der Protagonisten bilden.
Als frühe Verdi Oper weist I Lombardi in der Partitur deutliche Einflüsse seiner musikalischen „Belcanto-Väter“ Rossini, Bellini und Donizetti auf, während sie gleichzeitig ebenso deutlich bereits einen Ausblick auf das typische musikalische Idiom des späten Verdis gibt. Die Oper bezieht ihre starke Wirkung aus dem Reichtum und der Kraft ihrer zahlreichen kompositorischen Einfälle, sowohl in den Chorszenen – wie zum Beispiel in der Hymne der Kreuzfahrer und Pilger – als auch in Solo- und Ensembleszenen wie dem Gebet Giseldas im I. Akt oder dem Finalterzett des III. Aktes.
Die St.Galler Inszenierung erarbeitet der gebürtige Schweizer Guy Montavon, Regisseur und Generalintendant des Theaters Erfurt. Durch die Leitung der Erfurter Domfestspiele verfügt er über grosse Freilichterfahrung und ist Garant dafür, dass auch 2011 die Kathedrale ihren atmosphärischen Teil zum Gelingen des Festspielbesuchs beiträgt. Guy Montavon auf die Frage, wie man bei dieser Produktion mit der imposanten Kathedrale umgeht: «Entweder sie ignorieren die Architektur oder Sie beziehen sie mit ein. Ich bin der Meinung, es wäre falsch, das Ambiente zu ignorieren. Es bietet sich ja auch an, wenn am Ende ein Moslem zum Christentum konvertiert. Das Publikum will ja auch das fantastische Ambiente des Klosterhofs mit der Kathedrale geniessen.“ Als grosse inszenatorische Herausforderung empfindet Montavon den Chor, der bei I Lombardi ununterbrochen auf der Szene zu sehen ist: «Beim frühen Verdi hat der Chor noch eine andere Funktion als zum Beispiel im Otello. Dort führt der Chor die Handlung, bei I Lombardi alla prima crociata kommentiert er sie. Die Geschichte geht nie deshalb weiter, weil der Chor singt, sondern der Chor singt, weil die Geschichte weitergeht. » Montavons Inszenierung von I Lombardi alla prima crociata wird im Jahr 2012 auch bei den Domstufen-Festspielen in Erfurt zu sehen sein, mit denen die St.Galler Festspiele seit diesem Jahr eine Kooperation verbindet.
Musikalisch wird die Aufführung von Antonino Fogliani geleitet. Der junge italienische Maestro zählt aufgrund seiner bemerkenswerten Sensibilität zu den wichtigsten italienischen Dirigenten seiner Generation. Er gilt als Spezialist für die italienische Oper der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bei den St.Galler Festspielen brillierte er bereits bei Verdis Giovanna d’Arco und im vergangenen Jahr bei Donizettis Il diluvio universale.
Die Bühne wird von dem international tätigen BühnenbildnerHank Irvin Kittel gestaltet, den eine jahrelange erfolgreiche Zusammenarbeit mit Guy Montavon verbindet. Sein Bühnenbild für I Lombardi besteht aus einem 600 Quadratmeter grossen geschwungenen Grundkörper, mit dem sich Welle, Düne, Fahne oder auch fliegender Teppich assoziieren lassen. Hier finden die verschiedenen Schauplätze – vom Festgelage mit einem über 20 Meter langen Tisch bis zur Eremitenhöhle – ihren Platz. George Hanimann, Technischer Leiter der St.Galler Festspiele: «So einen komplexen und aufwändigen Bühnenaufbau hatten wir noch nie. Es wird eine absolute Herausforderung, dieses Bühnenbild in zwei Wochen auszustellen.»
Das beherrschende Thema in I Lombardi ist die Auseinandersetzung zwischen Morgenland und Abendland – die ja auch ganz aktuell die Welt in Atem hält. In Verdis Oper stehen die Kreuzritter als fanatisierte Glaubenskrieger vor Jerusalem – der Auftakt eines bis heute anhaltenden Aufeinanderprallens kultureller, weltanschaulicher und religiöser Systeme. Doch Konflikt bedeutet auch Begegnung. Und daraus folgt unweigerlich ein Austausch – damals wie heute. Orientalische Waren wurden während der ersten Kreuzzüge begehrte Luxusartikel in Europa, der Handel blühte, und im Zuge der kulturellen Interaktion fanden auch Streich- und Saiteninstrumente ihren Weg nach Mitteleuropa. Auf der iberischen Halbinsel hatten zu diesem Zeitpunkt die Mauren längst eine blühende Hochkultur der Künste und Wissenschaftenaus Nordafrika importiert.
Konzertprogramm
Der bedeutende katalanische Musiker und Forscher Jordi Savall zieht die Überzeugungs- und Sprengkraft seines Programms Orient und Okzident aus eben dieser Historie, eines befruchtenden Miteinanders von westlichen und orientalischen Musikern, Instrumenten und Musikstücken. Er gilt als Urheber der Wiederbelebung der Viola da Gamba und ist damit einer der bedeutendsten Vertreter der Alten Musik, der das Konzertprogramm der St.Galler Festspiele ein Forum gibt. Die direkt neben dem Klosterbezirk liegende protestantische Kirche St.Laurenzen ist Aufführungsort für Jordi Savall sowie für die meisten Konzerte während der St.Galler Festspiele.
Die Liebe als emotionaler Zustand von Krieg und Agitation war beherrschender Topos der Künste der Spätrenaissance. Als sich in Italien um 1600 Musiker anschickten, mit neuartigem einstimmigem Gesang individuelle menschliche Gefühlsregungen nachzuzeichnen, griffen sie bevorzugt auf diese Dichtungen zurück und definierten damit die neuen Wege des Frühbarock. Oh felice morire des Ensemble Phöenix München entführt in diese fragil-faszinierende Welt des Recitar cantando, des singenden Erzählens.
Orgelmusik aus und über den Orient präsentiert Orgel im Morgenland des St.Galler Domorganisten Willibald Guggenmos in der Kathedrale. Konzertmeister Igor Keller spielt im intimen Rahmen der Schutzengelkapelle Musik in ihrer reinsten Form, herausragende Werke a Violino senza Basso accompagnato des Spätbarock von Johann Sebastian Bach und Heinrich Ignaz Franz Biber. Andreas Staier und Alexander Melnikov stellen in Fenster zu Zeit Präludien und Fugen von Bach und Schostakowitsch, zeitlos-kristalline musikalische Gebilde, an Cembalo und Flügel, gegenüber.
Mit 15 Jahren erhielt das jüdische Wunderkind Felix Mendelssohn Bartholdy sein „Entréebillet zur europäischen Kultur“ (Heinrich Heine), die christliche Taufe. „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn“ – Protestantische oder eben allgemein europäische Spiritualität, Glaubenskraft und Erlösungssehnsucht sprechen aus seiner als Sinfonie gezählten sinfonischen Festkantate Lobgesang, im Festkonzert Abschluss und Höhepunkt des Konzertprogramms in der Kathedrale St. Gallen unter Leitung von David Stern.
Tanz – Pert Em Hru
Pert Em Hru, die Komposition des Schweizers Paul Giger entstand eigens für den Raum der St.Galler Kathedrale und wird von Chorsängern, Instrumentalisten und Tänzern gemeinsam realisiert. Bereits in der Komposition hat Giger Bewegungsabläufe angelegt, die nun von der Tanzkompagnie zusammen mit den Chören weiter entwickelt werden. Ein altägyptisches Totenbuch gab dem Stück seinen Namen, der wörtlich übersetzt bedeutet «Vom Heraustreten der Seele ins volle Tageslicht». Marco Santi, Leiter der Tanzkompagnie über die ungewöhnliche Zusammenarbeit mit dem Komponisten: «Vor 15 Jahren habe ich bereits eine Choreografie zu Paul Gigers Karma Shadub geschaffen. Diese wunderbare Komposition für Chor und Violine wird zusammen mit Pert Em Hru und Tropus ebenfalls in der Aufführung zu hören sein. Für meine Arbeit ist es natürlich faszinierend, Bewegungsabläufe zu einer Musik entwickeln zu können, in der die Bewegung und der Raum schon mitgedacht sind.» Giger verwendet in seinen Kompositionen auch die dem St.Galler Mönch Notker Balbulus zugeschriebene Melodie media vita in morte sumus sowie im mittleren Programmteil den Tropus von Notkers Zeitgenossen Tuotilo. Beides entstand und erklang vor über 1000 Jahren im St.Galler Klosterbezirk. Nach dem grossen Erfolg des vergangenen Jahres darf man gespannt darauf sein, wie Marco Santi Raum, Komposition und Tanz zu einem Erlebnis verbinden wird, das die unterschiedlichen Sinne anspricht. (Fotos T+T Fotografie)
www.stgaller-festspiele.ch
Zum letzten Artikel über die Festspiele: www.fashionpaper.ch